Tanja Hollschütz arbeitet seit vier Jahren bei der Lebenshilfe Gelsenkirchen als Schulbegleiterin. Anfang des Jahres fand aufgrund der Covid-19-Pandemie keine Schule in Präsenz statt. Während dieser Zeit wurde sie für zwei Wochen in der Wohngruppe des Haus Lebenshilfe, einer Wohnstätte im Stadtteil Bulmke-Hüllen für Menschen mit Beeinträchtigung, eingesetzt und durfte dort eine Erfahrung machen, die sie so schnell nicht vergessen wird.
Kanntest du vorher schon das Haus Lebenshilfe?
Die Wohnstätte der Lebenshilfe in Gelsenkirchen kannte ich gar nicht. Ich wusste nur, dass es einen Wohnbereich für Erwachsene dort gibt. Aber dass es auch ein Angebot für Kinder und Jugendliche gibt, war mir ganz neu.
Deine normale Tätigkeit ist die Schulbegleitung – Aufgrund der Einstellung des Schulbetriebes wurdest du nun in der Wohnstätte „Haus Lebenshilfe“ eingesetzt. Wie kam es dazu?
Man hat mich darauf angesprochen. Das Kind was ich in der Schule betreue wurde in dieser Zeit anders versorgt. Daher musste ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Mit der Zeit wurde mir auch ein wenig langweilig und dann wurde mir angeboten, in die Wohngruppe zu gehen. Das war ganz neu für mich aber ich habe mich auch gefreut etwas Neues kennenzulernen.
In welcher Wohngruppe warst du und was war deine Tätigkeit bzw. wie sah der Arbeitsalltag aus?
Den Arbeitsalltag den ich kennengelernt habe, war auch aufgrund von Covid-19 anders als normalerweise. Das bedeutet die Kinder waren auch schon vormittags in der Wohngruppe. Normalerweise sind sie ja in der Schule aber nur haben sie via Tablets in der Wohngruppe gelernt. Es war kein einfacher Prozess, dies den Kindern beizubringen, bzw. zu motivieren von dort aus zu lernen und einen halbwegs normalen Schulalltag zu etablieren. Dadurch war der Tagesablauf ein komplett anderer. Normalerweise sind die Kinder dann in der Schule und das Personal kann andere häusliche Aufgaben, wie z.B. Aufräumen oder Wäsche waschen. Dadurch, dass die Kinder alle da waren ist eine ziemliche Unruhe entstanden, auch aufgrund der unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Auch das Internet ist an seine Belastungsgrenzen gekommen, da alle Zeitgleich den virtuellen Unterricht besuchten. Das war meine erste Woche auf der Frühschicht. In der zweiten war ich dann auf Mittagsschicht. Da haben wir dann Zeit miteinander verbracht und versucht jeden Tag an die Frische Lust zu kommen, egal bei welchem Wetter. Wir waren Sparzieren, Einkaufen oder haben einen Kuchen gebacken – natürlich nur unter Hygienevorschriften.
Bei den Kindern fehlte durch den Wegfall der Schule bestimmt auch ein wenig die Auslastung, an die die Kinder normalerweise gewöhnt sind oder?
Ja, also eine Langeweile hat sich bei den Kindern schon bemerkbar gemacht. Sie waren wirklich froh, dass ich und mein Kollege dort waren und etwas mit ihnen unternehmen konnten. Auch für das Personal vor Ort war es eine Entlastung, da es auch täglich anfallenden Schreibkram wie z.B. die Dokumentation gibt, den es zu erledigen gilt. Dies fällt schon schwer, wenn man alles unter einen Hut bekommen muss.
Was war in den zwei Wochen die größte Herausforderung in der Wohnstätte für dich?
Die fehlende Eingewöhnungszeit in der Wohnstätte. Ich war in einer gewissen Art und Weise ein Gast dort. Da es ja nun mal ihr Zuhause ist. Ich habe natürlich gemerkt, dass ich am Anfang erstmal beschnuppert wurde. Manche Kinder konnten sich mir schneller öffnen, bei den anderen hat es etwas länger gedauert, aber das ist ja auch ein Stückweit normal. Am Ende kann ich aber sagen, war man dann doch bei allen beliebt.
Wahrscheinlich auch keine einfache Situation, wenn man gerade angekommen ist bei den Kindern und dann wieder gehen muss?!
Ja, als ich gesagt habe, dass ich ab morgen nicht mehr da bin, musste ich schon in einige traurige Gesichter blicken. Aber vielleicht kann ich ja während den Ferien dort nochmal eingesetzt werden. Aber dafür muss dann ja auch erstmal der Bedarf da sein.
Wie sehr hat die aktuelle Situation rund um Covid-19 deine Arbeit beeinflusst?
Zunächst war es aufgrund der Schutzbestimmungen mir nur erlaubt, mir auf einer Ebene, also in einem Wohnbereich aufzuhalten. Außerdem ist es auch schwierig, wenn man sich nur mit der Maske auf dem Gesicht kennenlernen kann, da Mimik schon ein wichtiger Teil bei der Arbeit ist. Dadurch wirkt alles natürlich auch ein wenig Unpersönlich.
Was war dein schönster Moment während diesen zwei Wochen?
Generell kann man sagen, dass es ein ganz besonderes Erlebnis war, über die gesamten zwei Wochen. Dort war auch ein Mädchen mit Autismus. Dies war zum Teil noch Neuland für mich. Aber mit der Zeit konnte man immer mehr sehen, wie man sich annähert und wie man miteinander am besten Kommunizieren kann. Der Moment in dem man merkte, dass man sich annähert und das Vertrauen auch von ihr wuchs, war das schon etwas Außergewöhnliches und Schönes. Das fand ich einfach toll.Ich muss aber auch sagen, dass die Kinder sehr höflich und gut erzogen waren. In dem täglichen Schulalltag bekommt man ja auch viel mit und da stechen die Kinder im Haus Lebenshilfe doch positiv heraus.
Was nimmst du aus dieser Zeit mit? Was haben dich diese zwei Wochen gelehrt?
Man bekommt ja schon viel mit. Auch die Schicksale, die teilweise dahinterstecken. Da merkt man erstmal, wie wichtig die Wohnstätte ist und dass es eigentlich noch mehr davon geben müsste. Die Kinder, die ich aus der Schule kenne und Zuhause leben haben da schon ein ganz anderes leben. Und haben es auch ein bisschen besser. Auf der anderen Seite ist es für viele Eltern sicherlich auch nicht einfach und da merkt man wieder, wie wichtig und sinnvoll solche Einrichtungen sind. Abschließen muss man einfach sagen, dass die Leute dort einen tollen Job machen und es schaffen ein Familiengefühl dort zu etablieren. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung machen durfte und würde jedem empfehlen dies zu machen, sofern die Möglichkeit besteht.