Judith Wagner (36) ist seit dem 01. April 2020 als neue Leiterin der Frühförderstelle bei der Lebenshilfe Gelsenkirchen angestellt. In einem kurzen Interview haben wir über ihren Werdegang und über ihre Ziele mit der Frühförderung in Gelsenkirchen gesprochen.
Warum passen Sie so gut zu Ihrem neuen Job?
Ich habe in den vergangenen Jahren auch nebenbei noch viele weitere Fort- und Weiterbildungen besucht und konnte dadurch glücklicherweise viele Qualifikationen erlangen. Zum Beispiel bin ich SAFE (Sichere Ausbildung für Eltern) Mentorin. Dadurch kann man Kurse anbieten, die bereits vor der Geburt des Kindes starten und unterstützt die Bindungsentwicklung zwischen Eltern und ihren Kindern. Momentan bin ich in der Ausbildung zur Marte-Meo-Therapeutin, das ist eine videounterstützte Entwicklungsbegleitung, bei der man eine Bezugsperson zusammen mit dem Kind filmt und im Nachhinein zusammen mit den Bezugspersonen das Video bespricht. Das interessante dabei ist, dass es sich rein auf das positive konzentriert. Dadurch sehen Eltern, was sie schon alles können und gewinnen an Selbstvertrauen und werden bestärkt. Die Eltern sind oft zunächst sehr skeptisch, da auch wenige gerne gefilmt werden, freuen sich aber im Endeffekt immer über die Reaktion des Kindes.
Was haben Sie bisher in Ihrer beruflichen Laufbahn erlebt?
Ich habe Heilpädagogik (Diplom) studiert und habe danach in den ersten Jahren in Unna in der Fachklinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie gearbeitet. Dadurch habe ich sehr viele unterschiedliche Behinderungsbilder und Verhaltensauffälligkeiten kennengelernt. Das war eine sehr gute Schule um viel zu lernen. Danach habe ich bei der Frühförderstelle der Lebenshilfe Dortmund gearbeitet und bin dann von dort aus zur Lebenshilfe Witten gewechselt und habe da die Leitung für den Bereich der ambulanten Dienste übernommen – war zuständig für den ambulanten Pflegedienst, Schulbegleitung und den FUD. Und dann bin ich über einen kurzen Stopp in der Pflegekinderhilfe wieder zur Lebenshilfe zurück und freue mich jetzt hier zu sein.
Also schon einiges an Erfahrung in Sachen Lebenshilfe?
Ja, ich bin der Lebenshilfe treu geblieben. Ich hab schon als Studentin im Familienunterstützenden Dienst (FUD) bei der Lebenshilfe Bochum gearbeitet.
Was treibt Sie an – Was sind die Highlights in Ihrer täglichen Arbeit?
Oft ist es einfach die Rückmeldung der Klienten. Das direkte Feedback – gerade Kinder sind da ja einfach sehr direkt und ehrlich. Da merkt man sofort, ob es passt oder nicht. Das hilft mir sehr bei meiner täglichen Arbeit. In der Wirtschaft zum Beispiel gibt es ja oft kein direktes Feedback oder es ist dann auch mal nicht ernst gemeint. Das ist dann auch das, was in der Arbeit mit Kindern oder im Allgemeinen bei Menschen mit Behinderung mir immer wieder Kraft gibt und mir zeigt, wofür ich meine Arbeit mache. Selbst wenn man mal vor lauter Stress nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht und man bekommt dann das direkte Feedback, dann ist das immer ganz schön.
Welche Ziele haben Sie mit der Frühförderung in Gelsenkirchen?
Ich denke dadurch, dass meine Vorgängerin, Frau Knittig, sehr lange hier war, sind die Fußstapfen schon sehr groß. Daher habe ich natürlich einiges nachzuholen. Aber es ist natürlich auch so, dass sich über die Jahre viele Strukturen gefestigt und etabliert haben. Dort hilft manchmal sicherlich ein frischer und neuer Blick. Es gibt sehr viele neue Technologien, die helfen können und da ich sehr computeraffin bin, freue ich mich schon darauf, diese einzusetzen. Dadurch versuche ich auch die Arbeitsprozesse zu optimieren. Die Frage, wo es pädagogisch mit der Frühförderung hingeht, ist zum aktuellen Zeitpunkt schwer zu beantworten, weil vor kurzem der Kostenträger gewechselt hat. Früher war dafür die Stadt Gelsenkirchen zuständig, mit der wir eine wunderbare Zusammenarbeit hatten. Jetzt ist es der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und das muss sich natürlich erstmal einspielen – der LWL ist auch noch in der Orientierungsphase in den Prozessen und Strukturen und so versuchen wir gemeinsam das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Hinzu kommt die Politik – aktuell sind wir eine rein heilpraktische Frühförderstelle – eine Möglichkeit und politisch gewünscht ist es eine interdisziplinäre Frühförderstelle zu werden – sofern es auch Sinn für Gelsenkirchen und die Lebenshilfe macht.
Gab es große Erfolgserlebnisse oder auch Misserfolge in den letzten Jahren, die Ihre Arbeit verändert haben?
Die größten Erfolge, die ich bisher hatte waren bei der Lebenshilfe in Witten als Leiterin. Dadurch haben sich Möglichkeiten ergeben, mehr zu bewegen und zu verändern. Ich habe dort mitgeholfen den ambulanten Pflegedienst aufzubauen und durfte von Anfang an dabei mitwirken und –gestalten. Neben der Lebenshilfe haben wir einen inklusiven Sportverein in Witten gegründet, dort war ich dann auch für eine Zeit lang als Geschäftsführerin tätig. Das war auch eine schöne Sache – mit Unterstützung der Lebenshilfe – einen Verein zu gründen, wo Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport treiben können. Das sind beides Projekte, bei denen ich sagen kann, dass ich da was Gutes auf den Weg gebracht habe und wo ich viele neue Kenntnisse erlangen konnte. Vor allem im Bereich der Pflege habe ich nochmal viel dazulernen können, wie zum Beispiel die rechtlichen Grundlagen und auch viel medizinisches Know-how.
Wie sieht der tägliche Alltag in der Frühförderung aus?
Für die meisten meiner Kollegen wird im ersten Schritt geschaut, ob es irgendwelche Neuigkeiten wie Terminabsagen oder ähnliches gibt. Danach geht es dann schon in die Förderung – entweder hier vor Ort in den Förderräumen oder auch bei den Familien zu Hause. Wir machen auch viele Hausbesuche. Das ist sehr gut um die Familien zu entlasten und für die Kinder ist es oft auch besser, wenn sie in der gewohnten Umgebung gefördert werden. Bei uns ist das manchmal etwas schwierig, also in einer fremden Umgebung. Im Anschluss an die Förderung dokumentieren wir die Arbeit und die Fortschritte der Kinder. Dazu gehören entsprechende Berichte aber auch Antragsstellungen oder Abschlussberichte. Hinzu kommt noch sehr viel Kooperationsarbeit – mit dem Kindergarten, Familienhilfe, Jugendamt und vielen weiteren. Es geht auch selten um eine rein behinderungsbedingte Hilfe, die wir anbieten. Oft gibt es weitergehende Probleme in den Familien, wo auch soziale Verhältnisse mit reinspielen. Dort wollen wir die Hilfesuchenden auch gut beraten können und mit Informationen versorgen, sowie auch an die richtigen Stellen weitervermitteln können. Hinzu kommen noch die Elterngespräche. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir auch die Eltern involvieren, damit sie auch wissen was passiert und warum etwas passiert und sie es dann auch selbst umsetzen können. Es ist nun mal wenig hilfreich, wenn wir einmal die Woche in der Glaskugel die Frühförderung machen und es dann zuhause nicht übernommen wird.
Und wie sieht Ihr Tag so aus?
Mein Tagesablauf hingegen ist deutlich organisatorischer geprägt. Die Leitungstätigkeiten oder Mitarbeitergespräche gehören schon zu meinem Alltag – jedoch sieht jeder Tag anders aus. Oft schauen wir im Team, wie wir mit gewissen Problemen umgehen und suchen gemeinsam nach Lösungen. Die Abrechnung und buchhalterische Themen müssen ebenfalls koordiniert und besprochen werden. Aktuell haben wir aufgrund von Covid-19 viel zu tun mit Hygienekonzepten und auch Arbeitspläne mussten angepasst werden. Wir müssen natürlich auch darauf schauen, wie wir die Vorgaben des Paritätischen umsetzen können – wollen aber natürlich weiterhin so effektiv wie möglich arbeiten. Zudem führe ich viele Erstgespräche mit Familien, bei dem die wichtigsten Informationen abgefragt werden und wir nach den passenden Behandlungen und Lösungen suchen. Im Anschluss daran erfolgt eine Entwicklungsdiagnostik und ich verfasse einen Bericht, ob und für wie sinnvoll wir eine Förderung bei uns halten. So ist halt dann doch jeder Tag anders.
Fernab der Arbeit – Was für ein Mensch sind Sie und welchen Hobby gehen Sie nach?
Ich denke, ich bin im Allgemeinen ein sehr sozialer und empathischer Mensch, dem auch wichtig ist, wie es den Menschen um einen herum geht – so wie die meisten im sozialen Bereich (lacht). Wir sind ja nicht umsonst da gelandet, wo wir jetzt sind. Im meinem privaten Leben habe ich vor kurzem das Pilgern für mich entdeckt. Ich war in meinem Urlaub auf dem Jakobsweg. Seit Anfang des Jahres bin ich mit einer Freundin auf dem Weg. Angefangen haben wir in Paderborn – in Tagesetappen. Im Urlaub sind wir die Strecke von Koblenz nach Trier gelaufen. Das große Ziel ist auf jeden Fall in Santiago de Compostela anzukommen, dem Endpunkt des Jakobswegs. Das wird wohl noch ein paar Jährchen dauern (lacht). Der ursprüngliche Plan war, dass wir in diesem Jahr bereits die letzten Etappen laufen. Dann kam uns jedoch Corona dazwischen und so haben wir den Mosel-Camino entdeckt und uns dafür entschieden.