„Inklusion wird nicht über Nacht umgesetzt“

Seit 2015 arbeitet Julius Leberl, Senioren- und Behindertenbeauftragter der Stadt Gelsenkirchen an der Umsetzung eines Aktionsplans für Inklusion. Frank Flieger, Vorsitzender der Lebenshilfe Gelsenkirchen, hat mit Julius Leberl über die Inklusion in Gelsenkirchen gesprochen.

Julius Leberl und Frank Flieger stehen vor einem Feuerwehrauto und reden über Inklusion

Inklusion ist ein Prozess der sich über mehrere Jahre hinzieht – Wo steht Gelsenkirchen aktuell?

Das ist richtig. Inklusion ist etwas, was nicht über Nacht umgesetzt werden kann. Das ist allen von Beginn bewusst gewesen. Inklusion ist aus meiner Sicht eine grundsätzliche Änderung gesellschaftlichen Handelns. Das betrifft nicht nur jeden Einzelnen sondern auch Politik, Wirtschaft, Verbände, Kirchen usw. und natürlich auch die Verwaltung. Jede (r) sollte hier ihren oder seinen Beitrag leisten.
Ich bin im Grunde zufrieden, mit dem was wir in Gelsenkirchen bisher erreicht haben, dennoch würde ich mir wünschen, in manchen Dingen weiter zu sein. Es ist ja zu bedenken, dass der Inklusionsprozess in Gelsenkirchen vor rund 5 Jahren quasi ausgesetzt war und alle Beteiligten viel Kraft und Zeit investieren mussten, den Prozess wieder ans Laufen zu bekommen. Daher bin ich glücklich, dass es uns gelungen ist 2018 einen Aktionsplan Inklusion vom Rat der Stadt beschließen zu lassen.
Ende 2019 hatten wir ein besonderes Forum Inklusion in der VHS. Da habe ich eine tolle Aufbruchsstimmung verspürt – alle wollten ihre Ideen umsetzen und mitmachen. Wir hatten uns zu diesem Zeitpunkt viel vorgenommen. Auch wollten wir den Umsetzungsstand in den, aus unserer Sicht, jeweils zuständigen Ausschüssen und Beiräten zur Diskussion stellen. Das alles hat die Pandemie jäh gestoppt.

Was sind die Ziele? Wo will man hin? Was will man erreichen?

Das große Ziel ist es – nach wie vor – den Aktionsplan Inklusion umzusetzen. Vorrangig müssen wir nun nach der Pandemie den Prozess erneut wieder beleben. Ich befürchte jedoch, dass dies nicht leicht sein wird.
Die Pandemie hat uns gezeigt, wie fragil freiwillige Zusammenschlüsse sind und, dass ein erfolgreicher Inklusionsprozess nicht nur von einzelnen getragen werden kann.
Natürlich haben wir eine sehr außergewöhnliche Zeit erlebt in der viele von uns nie gedachte Herausforderungen zu bewältigen hatten. Das da dann Dinge liegen bleiben ist schade, aber verständlich und in Teilen nicht zu verhindern.

Welche Schwerpunkte setzt die Stadt Gelsenkirchen beim Thema Inklusion?

Neben dem was ich eben bereits genannt habe – nämlich die gemeinsame Arbeit am Inklusionsprozess erneut aufzunehmen – haben wir die Pandemie genutzt und an einem Wegweiser Inklusion gearbeitet. In der Seniorenarbeit haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht und möchten diese auf die Inklusion übertragen. In diesem Wegweiser werden alle in Gelsenkirchen bestehenden Angebote, mit Kontaktdaten und Ansprechpartnern zusammengefasst. Ich hoffe, dass wir den Wegweiser noch in diesem Jahr veröffentlichen können.

Jeder weiß, dass Inklusion ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft ist – Können Sie mit Ihren eigenen Worten erklären, warum Inklusion unabdingbar ist?

Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, ist Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – eine Art Transformation und auch Emanzipation auf allen Ebenen. Natürlich ist das sehr abstrakt und jeder versteht darunter etwas anderes. Aber wenn man es ganz genau nimmt, handelt eine inklusive Gesellschaft eben nicht nur diskriminierungsfrei gegenüber Menschen mit Behinderungen sondern gegenüber allen. Das hieße z.B. auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Menschen jedweden Glaubens oder auch sexueller Orientierung. Das ist der eigentliche Ansatz der Inklusion.
Für mich bedeutet das zusammengefasst, dass jede/ jeder die gleiche Wahlmöglichkeit besitzen muss, Dinge zu entscheiden. Ein Beispiel: Wenn ich spontan beschließe ins Kino zu gehen, dann mache ich das und stelle mir im besten Fall nur die Frage welchen Film ich anschauen will und ob ich eher Popcorn oder Nachos währenddessen essen möchte. Ein Mensch der z.B. in seiner Mobilität eingeschränkt ist, der stellt sich ganz andere Fragen. Angefangen vom Weg zu Kino oder über die Barrierefreiheit im Gebäude. Gelungene Inklusion wäre – um bei diesem Beispiel zu bleiben –, wenn sich Menschen mit Handicaps keine Gedanken, darüber machen müssten, ob bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, sodass sie spontan ins Kino gehen können sondern dass das normal ist.

Wie sehen Sie die Arbeit der Lebenshilfe Gelsenkirchen und was wünschen Sie sich von der Zusammenarbeit?

Die Lebenshilfe hat den Inklusionsprozess seit jeher nicht nur ideell unterstützt sondern auf unterschiedlichste Weise immer aktiv mitgewirkt – sei es beim Spiel ohne Grenzen, in diversen Arbeitskreisen oder auf politischer Ebene. Ich würde mir daher wünschen, dass diese gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit weiterhin bestehen bleibt.

Portrait von Julius Leberl

Julius Leberl, geb. in Oldenburg. Seit 2015 Senioren- und Behindertenbeauftragter der Stadt Gelsenkirchen – derzeit zudem stellvertretender Leiter des Impfzentrum Gelsenkirchen.